Ich erinnere mich noch genau als ich im Sommer 1989 mit
dem Fahrrad nach Kirchheim unter Teck radelte. Plötzlich wurde ich von Kai mit
seinem Motorrad überholt. Begeistert berichtete er mir davon, dass es im zweiten
Anlauf geklappt hatte und er einen Studienplatz an der Folkwang Universität der Künste in Essen erhalten hatte.
Zwei Themen beschäftigten Kai besonders:
Mauern und der Israel – Palästina Konflikt. Als die ersten Meldungen am 9.
November 1989 über die Maueröffnung in
den Nachrichten gesendet wurden, entschloss sich Kai spontan nach Berlin zu
fahren. Den Fall der Mauer selbst miterlebt zu haben, beeinflusste ihn zutiefst.
Einige seiner frühen, besten Fotos sind aus dieser Zeit. Der Fall der Berliner
Mauer bedeutete für ihn einen großen Moment der Hoffnung. Es schien doch
möglich, tiefe Gräben zwischen Menschengruppen überwinden zu können und ein
friedliches Zusammenleben zu gestalten. Umso enttäuschter war er im Lauf der
Jahre darüber, dass anstatt weniger Mauern, neue errichtet wurden: ob zwischen
den USA und Mexico, oder zwischen Ungarn und Serbien wie auch Kroatien, und
natürlich vor allem auch die Mauer, die Israel zwischen sich und den besetzten palästinensischen
Gebieten errichtete. Sein n
Kai war zutiefst erschreckt über den
Holocaust. Wie konnte die Generation unserer Großeltern an einem derartigen
Verbrechen beteiligt sein? So war es nur konsequent, dass Israel zu einem
Hauptarbeitsgebiet für ihn wurde. Seine Pro-Israel-Haltung wurde jedoch schon
früh erschüttert. Vor Ort wurde er tagtäglich Zeuge der Brutalit
Aber Kai war kein Kriegsfotograf, kein
Sensationsfotograf. Einsätze im Libanonkrieg 2006 und später dann in Aleppo und
Kobane waren eher die Ausnahme. Er porträtierte das tägliche Leben, Menschen im
Alltag. Um besser mit Palästinensern in Kontakt zu kommen, studierte er 1991/1992
Arabisch in Damaskus. Und er gewann das Vertrauen der Leute. Schon bald wurde
er im Gazastreifen und Westjordanland Habib al-Schaab, Freund der Leute, genannt. Es war diese Nähe, die es ihm erlaubte, das tägliche Leiden der Palästinenser
unter der israelischen Besatzung, aber auch ihre Freuden und Hoffnungen so
eindeutig darzustellen.
Schaut man auf sein Werk über Mauern und den Israel-Palästina-Konflikt,
so kommt es nicht von ungefähr, dass die Internationale Liga für Menschenrechte
ihm 2016 die Carl von Ossietzky Medaille überreichte. In ihrer Begründung
schrieb die Organisation unter anderem:
‘Kai Wiedenhofer’s photographical work mirrors the terror and despair of systematic human rights violations caused by walls, fences, and borders. On his travels through numerous countries, he depicts walls as symbols for political arbitrariness and draws attention to the injustice of poverty, so often underestimated and overlooked’ (https://www.fidh.org/en/region/europe-central-asia/germany/carl-von-ossietzky-medal-2016-to-sos-mediterranee-and-the-documentary; 14/01/2024).
Der erneute Krieg im Nahen Osten bestürzte Kai zutiefst. Er war nie ein Freund der Hamas und ihrer Gewaltmethoden gewesen, aber die kollektive Bestrafung unschuldiger Palästinenser durch Israel, das Töten tausender Kinder durch das israelische Militär fand er erschreckend. Was ihn in einem unserer letzten Telefongespräche jedoch am meisten verärgerte, war die bedingungslose Unterstützung Israels durch die deutsche Regierung und vieler Deutschen. Wie kann man denn Wiedergutmachung für den Holocaust leisten, so fragte er, in dem man jetzt einen Genozid an den Palästinensern unterstützt? Was haben Deutschland und die Deutschen denn aus ihrer Geschichte gelernt?
Kai erhielt mehrere internationale Auszeichnungen für
seine Fotografie (http://kaiwiedenhoefer.com/bio, 14/01/2024). Er war zweifellos ein Fotograf von international anerkannter
Weltklasse. Nachrufe im Stern und Geo Magazin bezeugen das. Und doch, wer ihn traf und nichts davon wusste, hätte ihm das nicht
angemerkt. Stets blieb er er selbst: sehr bescheiden, nie angeberisch.
Auch Kais nächstes Projekt über den Klimawandel beschäftigte sich mit einem grundlegenden Problem der Menschheit. Erste Bilder entstanden bereits in Reisen nach Indien, Alaska sowie in die Alpen. Leider wird dieses Projekt nun nicht mehr vollendet werden. Am 25. Dezember 2023 erlitt Kai einen Herzinfarkt beim Fahradfahren und fiel in ein Koma. Am 9. Januar 2024 starb er im Krankenhaus in Ulm.
14 February 2024
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